Mein Schreibergarten: Erfinde nicht – suche und finde

Liebe Federfreunde

Am Anfang jeder guten Geschichte steht eine zündende Idee, oder wie ich es nennen möchte, ein Keimling mit Kernkraft. Die Frage ist nur: Wo finde ich die Keimlinge meiner Geschichten?

Ich mache es so: Ich begebe mich an einen ganz geheimen Ort – meinen Schreibergarten. Ich streune in meinem Wundergärtchen herum, schnüffle in den Beeten und Rabatten, zupfe mit der Pfote an einer Wurzel und siehe da: ein Keimling mit Kernkraft!

Zur Erklärung: Mein Schreibergarten – damit meine ich all meine Erfahrungen und Erlebnisse, alle Bücher, die ich
gelesen habe, alle Kinofilme, die ich gesehen habe, alle Geschichten, die ich gehört habe – kurz meine ganze Lebensgeschichte. Denn mein ganzes Leben ist eine Art Schrebergarten: Blumenkohl neben Apfelbäumen, Lavendel neben Schnittlauch, süsse Beeren neben Kartoffeln, Mist neben Rosen.

In meinem Schreibergarten muss ich nichts erfinden, ich suche und finde. Natürlich nutze ich meine Fantasie, ich schreibe über alles, was es gibt und vielleicht nicht gibt. Ich schrieb schon über Fermot, den Frosch, den besten Hoch-und Weitspringer der Welt, dem auf seiner Reise in einem feinen Restaurant in Frankreich ein Froschschenkel geklaut wird und der es dennoch schafft, auf einem Bein vom Eiffelturm nach Afrika zu springen. Das klingt vielleicht unglaublich – aber Achtung, es ist wahr! Ich nutze für Fermots Geschichte meine eigenen Emotionen und frage mich: Wie fühle ich mich selbst, wenn ich voller Tatendrang und in topfiter Sprungform bin? Wie fühle ich mich, wenn mir das Leben – metaphorisch gesprochen – ein Bein ausreisst?

Zur Veranschaulichung: An einem Abend schmökerte ich dereinst in einer spannenden Romanze. Da stand der Satz: «Die hübsche blonde Amanda klimperte mit ihren blassblauen Augen derart verführerisch, dass ihrem Reinhart vor Begehren die Beine einknickten und er ihr ohnmächtig vor die Füsse fiel.» Was soll denn das, welchem Mann klappern schon die Knie wegen einem Augenklimpern! Das glaubt doch kein Fux! Ich schreibe lieber über richtige Kerle mit richtigen Beinen.

Liebe Federfreunde, hier also mein Schreibtipp: Erfindet nicht – sucht und findet. Geht in euren Schreibergarten, sucht die besonderen Keimlinge, die nur eure eigene Biografie zutage fördern kann: Eure Leidenschaften, Sehnsüchte, Befürchtungen, Wahnsinnsträume, Beglückwünschungen, Kümmernisse und Frohlockungen. Pflegt eure Samen, bis eine spannende Geschichte aus einem Ideenkeimling spriesst!


P.S.: Mehr Tipps und Tricks gibt’s in meiner «Fliegenden Schreibwerkstatt». Die ist vollgepackt mit meinen besten Erzählkniffen. Schaut mal rein, wenn Ihr mögt.